Osterüberraschungen
Ein Kurzkrimi von Fiona Limar
Als Herr Klitzig seinen morgendlichen Rundgang durch den Supermarkt absolvierte, traf ihn wieder einer dieser verheißungsvollen Blicke von Alice Müller, der ihn augenblicklich an Onkel Alberts Giftschränkchen denken ließ. Diese Assoziation war weder naheliegend, noch war sie ihm spontan gekommen. Vielmehr hatte sie im Verlaufe der vergangenen Wochen und Monate allmählich Gestalt angenommen, genau genommen, seit er zum Filialleiter der Lebensmittelkette Eldermann aufgestiegen war. Plötzlich sahen ihn die Frauen mit ganz anderen Augen an, denn er war mit seinen 42 Jahren nicht nur ein ansehnlicher, sondern nunmehr auch ein erfolgreicher Mann. Er könnte völlig neu durchstarten, in seinen Gedanken sah er sich an fernen, sonnigen Stränden, mit einer Frau wie der rothaarigen, wohlgeformten Alice Müller an seiner Seite. Der Verwirklichung dieser schwülen Träume stand allerdings seine nüchterne, angegraute Ehefrau Anna im Wege, von der eine Scheidung nicht infrage kam, weil sie ihn finanziell hart treffen würde. Denn Anna gehörte nicht nur das von ihren Eltern ererbte Haus, sondern auch ein beträchtliches Barvermögen, das ihr eine reiche Tante hinterlassen hatte. Herr Klitzig selbst war ebenfalls in den Genuss eines Erbes gekommen, allerdings bestand dieses lediglich aus dem Nachlass seines Onkels Albert, der den Prototyp einer gescheiterten Existenz verkörpert hatte. Er war ein Chemiker gewesen, der nur selten mit einer geregelten Arbeit, dafür aber mit ausgefallenen Ideen aufwarten konnte. Alchemistische Experimente waren sein Steckenpferd gewesen und alles, was er seinen Neffen vermacht hatte, waren mehrere Notizbücher mit unleserlichen Aufzeichnungen sowie ein Kästchen mit teils hochgiftigen Chemikalien gewesen. Anna hatte darauf gedrungen, letzteres schleunigst zu vernichten, doch Herrn Klitzig widerstrebte es grundsätzlich, sich von etwas zu trennen, was er einmal besaß. Und plötzlich bekam es eine ganz neue Bedeutung. In dem Maße, wie die Blicke aus den smaragdgrünen Augen von Alice die Wünsche von Herrn Klitzig anwachsen ließen, wuchs auch sein Interesse an den ererbten Giften. Hochwirksames Cyanid befand sich darunter, das könnte den Scheidungsrichter ersetzen und die schnelle Lösung all seiner Probleme herbeiführen. Doch ganz so einfach war es natürlich nicht. Der Verdacht dürfte sofort auf ihn fallen, da er vom Tod seiner Ehefrau profitieren würde. Wenn es allerdings gelänge, einen Selbstmord zu fingieren, oder eine versehentliche Vergiftung… Eine Weile grübelte er vor sich hin, um sich dann auf die Stirn zu schlagen: Die Lösung war so einfach und so absolut genial! Er würde eine Erpressung der Eldermann-Märkte vortäuschen. Die dabei angedrohte Vergiftung von Lebensmitteln würde ein einziges Opfer fordern – seine Frau. Selbst wenn man ihn trotzdem verdächtigen sollte, kein Gericht der Welt würde ihn unter diesen Umständen verurteilen können. Im Zweifel für den Angeklagten.
Gleich am nächsten Tag machte er sich an die Umsetzung seines Plans. Zuerst entwarf er das Erpresserschreiben. Darin forderte er zwei Millionen und drohte anderenfalls damit, Artikel aus dem österlichen Süßwarensortiment zu vergiften. So kurz vor dem Fest fand er das sehr wirksam. „Keine Polizei“ schrieb er darunter. Natürlich würde sich der korrekte Herr Eldermann keinesfalls daran halten, und genau damit ließe sich die Rache des Erpressers begründen, die ausgerechnet seine ahnungslose Frau treffen sollte. Um keine Spuren zu hinterlassen, beschloss er den Brief auf ganz klassische Art zu verfassen, mit ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben. Leider hatte er keinerlei Presseerzeugnisse im Haus und sie einfach an irgendeinem Kiosk zu erwerben, erschien ihm plötzlich auch zu auffällig. Zum Glück fiel ihm die Zeitschriftensammlung seiner Frau Anna ein. In einer Kammer lagerten Unmengen von verstaubten Koch- und Backheften. Niemals würde sie bemerken, wenn er sich dort bediente. Wahllos zog er einige Hefte aus dem Stapel heraus und begab sich damit in seinen Hobbykeller. Mit Gummihandschuhen ausgerüstet, fabrizierte er das Schreiben, das er am nächsten Morgen am Hauptbahnhof in einen Kasten warf. Die Wirkung zeigte sich sehr schnell. Zwei Tage später wurde ihm ein neuer Hausdetektiv vorgestellt, der offensichtlich besonders die Süßwarenabteilung im Auge behielt. Herr Klitzig hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es sich in Wirklichkeit um einen Polizeibeamten handelte. Am gleichen Abend noch begab er sich in den Hobbykeller und verfasste dort den zweiten, entscheidenden Brief. „Sie haben sich nicht an die Abmachung gehalten – das werden Sie bereuen!“, schrieb er. Er warf ihn wieder am Hauptbahnhof ein und erwarb noch am gleichen Tag in seiner Filiale eine Schachtel edler gefüllter Schokoladeneier. Eines davon öffnete er am Abend im Keller mit einer heißen Stricknadel. Er ließ der Eierlikör auslaufen, vermischte ihn mit dem Cyanid und gab die tödliche Mischung mit Hilfe einer Pipette in das Ei zurück. Die Öffnung verschloss er nach leichtem Erhitzen sorgfältig. Das Ergebnis war perfekt, Anna würde keinen Verdacht schöpfen. Bei ihrer Vorliebe für Süßes würden die Pralinen Ostern nicht überleben. Und sie selbst ebenfalls nicht. Herr Klitzig war mit sich zufrieden und voller Zuversicht. Er verbrannte die Zeitschriften und vergrub die verkohlten Reste zusammen mit dem Gift und den Gummihandschuhen unter wilden Brombeeren in einer Gartenecke.
Beim Abendessen teilte ihm seine Frau beiläufig mit, dass ihr Bruder am Ostersonntag vorbei schauen würde.
„Wieso das denn?“, erwiderte er erstaunt.
„Er hat über Ostern frei und will sich in der Hauptstadt umsehen. Da ist es doch nur verständlich, dass er uns einen Besuch abstattet.“ Verständlich war es schon, wenn auch äußerst ungewöhnlich. Annas Bruder war Kriminalhauptkommissar in Essen und beruflich sehr eingespannt. Seine Ehe war daran gescheitert und seitdem vergrub er sich noch mehr in Arbeit. Doch eigentlich war dieser überraschende Besuch durchaus von Vorteil. Er würde Zeuge des plötzlichen Todes seiner Schwester werden, natürlich auf Aufklärung drängen und von Berufs wegen mehr erfahren, als gewöhnlich Sterbliche. So würde die Erpressung sofort zur Sprache kommen und erst gar kein anderer Verdacht geäußert werden. Herr Klitzig fand, dass das Schicksal auf seiner Seite war.
Alles lief dann auch planmäßig. Am Sonntagmorgen zeigte sich Anna hoch erfreut über sein liebevolles Präsent. Sie stellte die Pralinenschachtel auf der Kommode ab, während sie in der Küche den Brunch vorbereitete. Kaum hatten sie sich zum Essen an den Tisch gesetzt, klingelte es auch schon. „Das wird Eckard sein“, sagte Anna und eilte zur Tür. Zu Herrn Klitzigs Überraschung kam sie jedoch nicht nur mit dem Schwager, sondern in Begleitung eines weiteren Herrn zurück.
„Hauptkommissar Schulz, Kripo Berlin“, stellte der sich vor. Herr Klitzig beobachtete mit offenem Munde, wie Anna auf den Beamten zuging und ihm die Pralinenschachtel in die Hand drückte. Der lächelte triumphierend.
„Herr Klitzig, ich verhafte sie wegen Erpressung der Firma Eldermann. Eine Anklage wegen versuchten Mordes wird vermutlich noch hinzukommen.“
„Ich verstehe nicht…“, stammelte der hilflos, was der Wahrheit entsprach.
„Wirklich nicht, Schwager?“ Annas Bruder lächelte maliziös. „Dann will ich dich aufklären. Anna vermisste einige ihrer Zeitschriften. Sie glaubte, du hättest sie als Unterlage für irgendwelche Heimwerkertätigkeiten missbraucht und im Hobbykeller danach gesucht. Dabei stieß sie auf die unzweideutigen Spuren deiner Briefbasteleien. Sie rief mich sofort an und die Berliner Kollegen informierten mich über die Erpressung bei Eldermann.“
„So war es“, übernahm der Kollege das Wort. „Nur war dieser Erpressungsversuch so dilettantisch ausgeführt, dass wir sofort vermuteten, es müsste etwas anderes dahinter stecken. Nämlich die Vertuschung einer anderen geplanten Straftat. Ich gehe jede Wette ein, dass ich den Beweis dafür in der Hand halte. Ihre Frau war natürlich von uns gewarnt worden.“ Er schwenkte die Pralinenschachtel.
Herr Klitzig begriff, dass er verloren hatte. Was er nicht begriff, war, dass seiner Frau das Fehlen der Zeitschriften aufgefallen war. Und wieso hatte sie so verbissen danach gesucht? Sie ging doch sonst nie in den Hobbykeller! Da ohnehin alles verloren war, stellte er die Frage laut.
„Du hattest die Osterausgaben erwischt“, sagte sie. „Ich habe nach einem bestimmten Rezept für Osterbrot gesucht.“
An die beiden Kommissare gewandt fügte sie fast entschuldigend hinzu: „Ich wollte meinen Mann damit überraschen.“
Aha – Internet funktioniert also wieder :-)) Schön, dass du wieder online bist. Deinen Kurzkrimi habe ich gerne gelesen, war aber nicht so mein Ding . Mir fehlt die Würze in der Kürze – irgendwie. Ulkigerweise habe ich mir gerade gestern so meine Gedanken zum Thema „Kurzgeschichte“ gemacht. Ich bin eher der Typ, der gerne lange Romane liest, in denen sich Charaktere entwickeln und sich Geschichen aufbauen können. Aber ich habe mir auch überlegt, ob ich mich nicht mal selbst an einer Kurzgeschichte probieren soll. Ob es je nochmal zu einem Roman bei mir reicht, weiß ich nicht. Kennst du die Seite Wortwuchs.net? Dort bin ich gestern mal gelandet und habe mir Merkmale der Kurzgeschichtedurchgelesen. Das fand ich sehr interessant, weil ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht hatte. Mich hat die Schreiberei wieder gepackt *schmunzel*. Alles was mich in dieser Beziehung so umtreibt, findet seinen Platz ab sofort im Foto-und Kreativblog, sofern es nicht zu einem anderen Thema passt, dass ich im normalen Blog gerade behandele.
Uff, jetzt habe ich dich aber zugetextet. Entschuldige bitte.
Liebe Grüße
Elke
Das war jetzt aber interessant und spannend. Ich dachte mir schon, dass dieser Plan nicht aufgehen kann, aber dass er ausgerechnet die Osterhefte erwischt hat, war dann doch überraschend. Du kannst das eben!
LG
Astrid