Ein Mord allein ist nicht genug

MörderblutJa, was denn dann? Viele Morde? Nein, da halte ich es mit der bekannten Weisheit, dass viele Leichen einen Krimi auch nicht lebendiger machen. Doch ich finde, die Krimi-Handlung sollte in ein übergeordnetes Thema eingebettet sein, natürlich in eines, das für den Leser interessante Informationen enthält. So ging es in meinen früheren Krimis um die Möglichkeiten und Grenzen der Hypnose, um Hexenprozesse und Sühnekreuze und zuletzt um die psychische Struktur eines gewieften Heiratsschwindlers. Nicht nur Letzterer, sondern alle bisher von mir beschriebenen Täter, weisen mehr oder weniger psychopathische Strukturen auf. Verfolgt man dieses Thema weiter, landet man irgendwann fast zwangsläufig bei den Serienmördern und muss feststellen, dass eine merkwürdige Faszination von ihnen auszugehen scheint. Jack the Ripper, einen der bekanntesten Serienmörder, der Ende des 19. Jahrhunderts sein Unwesen trieb, umranken bis heute Mythen und Legenden. Zahlreiche Bücher und Filme befassten sich mit ihm, und weitere werden mit Sicherheit folgen. Doch ist es weder die Anzahl noch die Grausamkeit seiner Morde, was ihn zum Mythos werden ließ, sondern vielmehr das Geheimnis, das ihn bis heute umgibt. Seine Identität wurde nie geklärt und gibt bis in die Gegenwart Anlass zu immer neuen Spekulationen. Ebenso unklar ist, weshalb die Mordserie plötzlich abbrach. War er gestorben, hatte er das Land verlassen, oder war er in einer psychiatrischen Anstalt gelandet? Und warum ermordete er Prostituierte? Aus Hass, aus Rachegefühlen heraus, oder einfach nur deshalb, weil sie leicht erreichbare Opfer waren?

Serienmörder geben uns Rätsel auf, ihre Persönlichkeit und ihre Motive sind schwer zu begreifen. Das erschwert auch ihre Verfolgung, viele werden nur durch Zufall gefasst. Der als „Kirmesmörder“ bekannt gewordene Jürgen Bartsch, der zwischen 1966 und 1969 vier Jungen ermordete, geriet nur deshalb ins Visier der Polizei, weil sein letztes Opfer entkommen konnte. Was der Junge berichtete, stieß zunächst sogar auf Unglauben. Bartsch half im Fleischerladen seiner Adoptiveltern als Verkäufer aus, er weigerte sich, Tiere zu schlachten, weil er Mitleid mit ihnen empfand. Seine Opfer dagegen folterte und tötete er mit unvorstellbarer Grausamkeit.

Als eines der größten ungelösten Rätsel der Kriminalgeschichte gilt der „Sandmann“ Adolf Seefeldt. Man kennt weder die genaue Anzahl seiner Opfer – Schätzungen sprechen von bis zu hundert, nachgewiesen wurden ihm zwölf Morde – noch die Art, wie er sie tötete. Doch immer waren es Jungen, die Matrosenanzüge trugen und wie schlafend in Fichtenschonungen aufgefunden wurden. Diese Auffindesituation trug ihm den Beinamen „Sandmann“ ein. Als er schließlich gefasst wurde, äußerte er sich weder zu seinen Motiven, noch zur Art und Weise seines Mordens. Das ließ nach seiner Hinrichtung 1936 Spekulationen ins Kraut schießen. Tötete er aus sexuellen Motiven, was bei seiner bekannten pädophilen Neigung naheliegend schien, oder gar aus Mitleid, um den Jungen die Bürde des Erwachsenwerdens zu ersparen? Und wie konnte er töten, ohne Spuren zu hinterlassen? Eine Annahme besteht darin, er habe die Kinder in einen hypnotischen Schlaf versetzt und sie dadurch an Unterkühlung sterben lassen. Ich bezweifele das. Meine eigene Hypothese lege ich in meinem neuen Krimi meiner Protagonistin Iris Forster in den Mund und möchte sie daher noch nicht verraten. Ja, in „Mörderblut“ geht es um einen Serienmörder, der nach historischem Vorbild handelt. Von dem martialisch anmutendem Titel möge sich niemand abschrecken lassen. Er bezieht sich auf die aktuell wieder lebhaft diskutierte These, ob es so etwas wie ein „Killergen“ oder den „geborenen Mörder“ gibt. Etwas poetischer ausgedrückt: Fließt in den Adern mancher Zeitgenossen Mörderblut?

Damit sind die Themen, die mein neuer Krimi anschneidet, kurz umrissen. Keinesfalls werden sie erschöpfend behandelt, denn das Buch soll natürlich in erster Linie spannend sein. Und wenn das Thema auch recht gruselig ist, grausam und blutig wird es nicht abgehandelt. Es bleibt bei dem Blut im Titel – versprochen!

Der falsche Weihnachtsmann

Ein Kurzkrimi von Fiona Limar

Dr. Edwin Möller nestelte an seiner Krawatte herum, klaubte einen heruntergefallenen Lamettafaden vom Teppich auf und tat dann so, als würde er eine Kerze am Weihnachtsbaum zurechtrücken. Er war nervös, wollte es sich aber um keinen Preis anmerken lassen. Alle sollten sich hinterher daran erinnern, dass er an diesem Abend völlig entspannt gewesen war. Anwesend waren seine Tochter Nora mit ihrem Mann Christian und Sprössling Paul sowie sein Sohn Dietrich mit Freundin Kathrin. Während Ehefrau Marianne den Tisch abwischte und eine weihnachtliche Decke darüber ausbreitete, schaute Dr. Edwin Möller unauffällig auf die Uhr. Sie waren zu früh mit dem Essen fertig! Noch fast eine Stunde bis zum Showdown.

„Opa, wann kommt denn nun der Weihnachtsmann?“ Die Stimme von Enkel Paul ließ ihn zusammenzucken. Opa! Wie sich das schon anhörte. Er war schließlich ein Mann im besten Alter und sah ganz und gar nicht wie ein Opa aus. Darin unterschied er sich völlig von Marianne, die sich in ihrer Oma-Rolle ausgesprochen wohlzufühlen schien. Jetzt beugte sie sich zu Paul hinunter und tätschelte ihm liebevoll den Kopf. „Ein wenig musst du dich noch gedulden. Soll die Oma dir solange etwas vorlesen?“ Sie griff nach dem bereitliegenden Märchenbuch und setzte sich ihre Brille auf die Nase. Paul kletterte strahlend auf ihren Schoß. Edwin musterte sie verstohlen. Alt war sie geworden, wenn sie beim Lesen den Kopf gesenkt hielt, fiel die schlaffe, faltige Haut an ihrem Hals noch deutlicher auf. Leicht angewidert wandte er seinen Blick ab, schaute stattdessen verstohlen zu Kathrin hinüber. Frisch und appetitlich wie ein knackiger Apfel sah sie aus und ihre Beine, die in einer aufregend gemusterten Strumpfhose steckten, schienen bis zum Himmel zu reichen. Von ihrer Sorte liefen viele herum, und so manche war nicht abgeneigt, einen erfolgreichen, gestanden Mann wie ihn, ein wenig von ihrer Süße kosten zu lassen. Warum sollte er sich da – um im Bilde zu bleiben – mit verwelktem Gemüse begnügen? Natürlich hatte Marianne nicht das geringste Verständnis für seine Wünsche. Bei ihrer prüden Moralauffassung würde sie ihn wegen der geringsten Verfehlung in eine schmutzige Scheidung und den finanziellen Ruin treiben. Deshalb musste sie verschwinden. Es war nicht einfach gewesen, einen Weg zu finden. Zwar verfügte Edwin Möller über Geld, doch über keinerlei Kontakte ins kriminelle Milieu. Profikiller, die gegen Bares schnell und effizient die Schmutzarbeit übernahmen, kannte er nur vom Hörensagen. Entsprechend mühselig war es gewesen, das zu organisieren, was heute in weniger als einer Stunde seinen Abschluss finden sollte. Ein als Weihnachtsmann kostümierter Mann würde klingeln und sofort, wenn Marianne die Tür öffnete, auf sie schießen. Ehe alle begreifen würden, was da gerade geschehen war, wäre er schon wieder verschwunden. Niemand hätte sein Gesicht gesehen, das auch Edwin nicht kannte. Er hatte nur mit einem Mittelsmann verhandelt, dem er die zwanzigtausend Euro Anzahlung übergeben hatte. Weitere zwanzigtausend würden nach Auftragserfüllung fällig werden. Ein stolzer Preis, doch seine Freiheit war es ihm wert. Niemand würde Verdacht schöpfen, da war er sich sicher. Die Polizei würde auf einen Irren tippen, der im Weihnachtsmann-Kostüm wahllos Menschen niedermetzelte. Über ähnliche Fälle war schließlich bereits berichtet worden.

Ein Klingeln an der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken. Schon? Der Kerl war fast eine halbe Stunde zu früh! Aber dann hätte er es wenigstens hinter sich. Er nahm Paul von Mariannes Schoß und zwinkerte ihr verstohlen zu. „Wer das wohl sein mag? Die Oma geht gleich mal nachschauen.“ Paul umklammerte nervös seine Hand. Indem Edwin ihm gut zuredete, versuchte er seine eigene Anspannung zu bezwingen. Gleich würde es vorbei sein! Ein dumpfes „Plopp“, denn der Profi würde natürlich einen Schalldämpfer verwenden, das Geräusch des Aufpralls eines Körpers auf dem Boden und dann… Weiter kam er nicht mit seinen Überlegungen. Marianne erschien in Begleitung eines kostümierten Mannes, von dessen Gesicht nur die dunklen Augen zu erkennen waren, im Wohnzimmer. „Ja, schaut mal, wer uns da besuchen kommt!“, rief sie erfreut. Paul versteckte sich hinter seinem Opa, der den Maskierten fassungslos anstarrte. Was sollte das denn jetzt? Hatte der die Instruktion nicht begriffen? Wollte er etwa hier im Wohnzimmer vor aller Augen die Kanone ziehen? Doch der Weihnachtsmann zog überhaupt keine Waffe, sondern das erste Geschenk aus dem Sack, den ihm Marianne in die Hand gedrückt haben musste. „Gibt es hier einen Jungen, der Paul heißt?“, fragte er. Während Paul hinter seinem Rücken hervorkam und sich von dem freundlichen Mann sogar dazu bewegen ließ, ein Gedicht aufzusagen, brach Edwin der Schweiß aus. Der Kerl verhöhnte ihn! Der Mittelsmann hatte ihm natürlich angemerkt, wie unbewandert er in Geschäften dieser Art war. Das hatte er skrupellos ausgenutzt, er hatte das Geld kassiert und sich ins Fäustchen gelacht. Einklagen konnte Edwin die Dienstleistung schließlich nicht. Aber jetzt noch so eine Show abzuziehen, das war wirklich der Gipfel! Die Verteilung der Geschenke rauschte an ihm vorüber, erst der vielstimmige Ruf: „Du bist dran, Opa!“, brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Das Päckchen, das ihm überreicht wurde, war in kariertes Papier eingewickelt. Ebenfalls kariert war das Stück Stoff, das er kurz darauf ratlos in der Hand hielt.

„Ist das ein Rock?“, fragte Paul mit erstaunt aufgerissenen Augen. „Das ist ein Kilt“, belehrte ihn seine Mutter. „In Schottland tragen das die Männer.“ Jetzt fiel es Edwin Möller wieder ein: Die Mottoparty von Dr. Weskamp anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages. Er hatte sie alle in einen schottischen Pub eingeladen und um entsprechende Bekleidung gebeten. Seine Familie hatte offenbar vorgesorgt. „Anziehen, anziehen!“, erklang es nun vielstimmig. Mit seiner anfänglichen Weigerung kam er nicht durch. „Wir sind hier schließlich unter uns, nun zier dich nicht so“, meinte Marianne. Hinter einem hohen Sessel verborgen, ließ er wütend die Hose herunter. Dieser arrogante Affe von einem falschen Weihnachtsmann sollte nicht auch noch Augenzeuge seiner letzten Demütigung werden. Paul klatschte begeistert in die Hände, als er Edwin im Kilt sah. „Jetzt siehst du aus wie eine Oma. Fein, dann habe ich zwei Omas“, jubelte er.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du jetzt überhaupt keine Oma mehr“, dachte Dr. Möller wütend.

„Der Junge hat nicht unrecht, bei deiner Frisur könnte man das wirklich denken“, bemerkte Marianne spitz. Ihm wurde richtiggehend übel vor Wut. Musste sie auch noch diese Platte auflegen? Ständig nörgelte sie an seiner fülligen, schulterlangen Haarpracht herum, hatte ihn deswegen sogar schon als „Hippie-Verschnitt“ bezeichnet. Dabei war die Alte nur neidisch auf seine Jugendlichkeit. Die würde ihm allerdings wenig nützen, wenn er weiterhin unter ihrer Fuchtel leben musste. Bitterkeit machte sich in ihm breit, sein Herz begann zu rasen, er fühlte Hitze in sich aufsteigen und einen bohrenden Schmerz hinter der Stirn erwachen. Offenbar spielte sein Blutdruck verrückt. Das fehlte gerade noch, dass er hier schlapp machte. Er musste an die frische Luft und zwar sofort. Ein Klingeln an der Tür brachte die Erlösung. Mit einem: „Ich gehe schon!“ und dem festen Vorsatz, sobald nicht zurückzukommen, stürzte er aus dem Zimmer.

Das Zurückkommen blieb ihm tatsächlich erspart. Die drinnen Versammelten hörten nur ein gedämpftes „Plopp“ und das Aufschlagen eines schweren Gegenstandes. Den davoneilenden Mann im roten Mantel sah hingegen keiner von ihnen. Dafür wurde er von der Nachbarin, Frau Schirmer, entdeckt. Sie winkte ihm aufgeregt zu, sah ihn aber nur noch um die Hausecke verschwinden und hörte gleich darauf einen davonfahrenden Wagen. Enttäuscht kehrte sie ins Haus zurück. „Er ist schon wieder weg“, sagte sie zu ihrem Mann. „Sicher war er sauer, schon einen Weihnachtsmann anzutreffen und den Weg umsonst gemacht zu haben. Ich sage dir, der Erste, der jetzt drüben die Bescherung macht, war eigentlich unser Mann. Du hättest bei der Agentur noch einmal betonen müssen, dass wir die Hausnummer 11a haben und nicht die 11. Ständig gibt es da Verwechselungen. Dass immer mal wieder Pakete für uns bei den Möllers abgegeben werden, ist ja nicht weiter schlimm, aber dass Lars nun in diesem Jahr keinen Besuch vom Weihnachtsmann bekommt, das ist schon traurig.

 

Vom Traumprinzen zum Alptraum…

Bald soll mein neuer Krimi „Schattenmord“ erscheinen. Deshalb möchte ich heute ein paar Bemerkungen zum psychologischen Hintergrund der Geschichte machen, einer Geschichte, die von Liebe, Verrat und zerstörten Hoffnungen handelt.

Vom Traumprinzen zum Alptraum – der zerstörerische Charme der Heiratsschwindler

Buchcover Schattenmord

Sie sind Ärzte, Anwälte oder Piloten, sie sind wohlhabend, gebildet und humorvoll, sie verfügen über perfekte Manieren, und sie versprechen Frauen die große Liebe.

Leider ist nichts davon wahr. Alles, worauf sie es tatsächlich abgesehen haben, ist das Geld ihrer Opfer. Wenn ihre Masche schließlich auffliegt, hinterlassen sie verbrannte Erde, denn noch schwerer als der finanzielle Schaden wiegt der an der Seele ihrer Opfer. Die betroffenen Frauen fühlen sich gedemütigt und entwertet, sie werden von Selbstzweifeln und Scham geplagt, und nicht wenige verzichten aus diesen Gründen sogar auf eine Anzeige. Die Erfahrung scheint ihnen Recht zu geben, denn so mancher tragische Erlebnisbericht löst nur Kopfschütteln aus. „Selber schuld, wie kann man nur so naiv sein!“, heißt es dann vorschnell. Wer so urteilt, macht es sich entschieden zu leicht. Heiratsschwindler sind Profis auf ihrem Gebiet und nicht so einfach zu durchschauen. In der Regel sind es intelligente Männer, die ihre Legende perfekt absichern. Sie werfen mit Fachbegriffen und Anekdoten aus ihrem angeblichen Beruf um sich, sie scheinen wichtige Personen zu kennen und wissen sich, wenn es doch einmal brenzlig wird, elegant aus der Affäre zu ziehen. Vor allem aber sind sie Psychopathen, und darin liegt ihre gefährliche Stärke. Vielleicht überrascht diese Aussage, stellen sich unter einem Psychopathen doch viele einen hochgradig auffälligen Menschen vor, der u. U. sogar mit einer Kettensäge durch die Gegend läuft und andere massakriert. Doch dem ist nicht so. Die meisten Psychopathen leben angepasst unter uns, sie sind anerkannt und erfolgreich. Ihre besonderen Merkmale befähigen sie dazu. Als typische Narzissten sind sie völlig von ihrer eigenen Großartigkeit überzeugt. Das verleiht ihnen eine Aura von Selbstsicherheit und Kompetenz, auf die viele Menschen hereinfallen. Nicht selten hört man von Hochstaplern, die lange unbehelligt Tätigkeiten ausüben, für die sie nie eine Qualifikation erworben haben, und denen es durch ihr Auftreten gelingt, sogar Fachleute zu täuschen. Psychopathen sind begnadete Lügner, ungeschlagen im Erfinden von Legenden und Ausflüchten. Typischerweise verfügen sie über keine Empathie. Dass sie kein Mitleid mit ihren Opfern empfinden, macht sie in einem hohen Maße skrupellos. Ist man naiv, wenn eine derartige Hinterhältigkeit und Gefühlskälte jenseits des eigenen Vorstellungsvermögens liegen? Wohl kaum!

Für einige der Opfer endet die Begegnung mit einem Heiratsschwindler sogar tödlich. Es gibt belegte Fälle, in denen Männer mehrere Frauen ermordeten und beerbten, bevor endlich jemand Verdacht schöpfte. Insofern ist die Handlung meines Krimis „Schattenmord“ zwar frei erfunden, könnte sich aber durchaus so abgespielt haben.